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Maria Soxbo, Chronik nr 3.

2021 haben wir die etablierte und preisgekrönte Journalistin und Autorin Maria Soxbo dazu eingeladen, die Nachhaltigkeitsfrage gemeinsam mit uns in den Vordergrund zu stellen – auf eine moderne Weise, die Interesse weckt. Wir denken, dass der erste Schritt darin besteht, dahin gehendes Bewusstsein zu schaffen, um danach gedanklich zu reifen und in langfristige Handlungen umgesetzt zu werden. Wenn Maria zu diesem Thema Stellung nimmt, gelingt es uns hoffentlich, sowohl die Vernunft anzusprechen als auch zu Taten zu motivieren.

Spuren der Zeit

Vor vielen Jahren arbeitete ich in einem Büro in einem der ältesten Häuser Stockholms. Um die Steintreppe in die zweite Etage hinaufzugehen, bedurfte es einiger Übung, da nach mehreren hundert Jahren und unzähligen Füßen auf ihrem Weg nach oben und unten keine der Stufen mehr eben war.

Aber im Gegensatz zu den komplett renovierten, modernen und schönen Büroräumen ist mir gerade diese Treppe in Erinnerung geblieben. Ich spüre heute noch das Gefühl, wenn man in das immerzu kühle – im Winter eiskalte – Treppenhaus ging, und höre das geschichtsträchtige Knarzen, wenn man den Fuß auf die erste, stark geneigte Treppenstufe setzte. Wie viele Schritte braucht es, bis mehrere Zentimeter Stein abgetragen sind? Wie viel oder besser gesagt wie wenig haben meine Sohlen zur Verwandlung der Treppe beigetragen?

Maria Soxbo ist Journalistin, Autorin und Mitbegründerin von Klimatklubben.

Es ist interessant, darüber nachzudenken, worauf wir eigentlich Wert legen. Auf das Perfekte, Neue und Unangetastete oder auf etwas mit einer langen Geschichte? Heute produzieren wir weit mehr Dinge, Möbel und Kleidung als wir bräuchten und doch wollen wir immer mehr. Wir tauschen die leicht matten und zerkratzten Dinge gegen nigelnagelneue Hochglanzprodukte, die direkt aus der Fabrik kommen. Das Ausgemusterte geht ein in die enorme Menge an bereits produzierten Dingen, die irgendwo aufbewahrt werden müssen. Auf Dachböden und in Rumpelkammern, auf Flohmärkten und in Secondhandläden und im schlimmsten Fall auf dem Sperrmüll oder auf Mülldeponien. Was für den einen nicht mehr zu gebrauchen ist, kann für den anderen Gold wert sein, aber das meiste, was dort zu finden ist, hat für die meisten von uns keinen Wert mehr. Und das nur aus dem Grund, dass es bereits von jemand anderem benutzt wurde.

Aber stellen Sie sich vor, wir könnten an der Geschichte eines jeden Gegenstands teilhaben? Wenn jeder zerkratzte Porzellanteller von den vielen spannenden Gesprächen beim Essen erzählen könnte, die in seiner Nähe geführt wurden? Wenn jedes gebrauchte Holzmöbel von all den Menschen berichten könnte, die es gesehen hat, wenn jedes maßgeschneiderte Kleidungsstück uns auf die Partys, Feiern und festlichen Veranstaltungen mitnehmen könnte, in deren Mittelpunkt es gestanden hat? Würden wir sie dann nicht mehr wertschätzen?

Dass ein hauchzartes Champagnerglas auf einem dünnen und zierlichen Fuß nicht nur den menschlichen Faktor – die Ungeschicktheit – überlebt hat, sondern auch die unzähligen Trinksprüche, Spülgänge und Eigentümerwechsel im Laufe von vielleicht hundert Jahren, bis es auf einem Flohmarkt für einen Apfel und ein Ei verramscht wird. Dass es darüber hinaus eine spannende, zumeist verborgene Geschichte zu erzählen hat, die einem gewöhnlichen Gebrauchsgegenstand einen unsichtbaren Goldrand verleiht. Vielleicht wurde anlässlich vier Hochzeiten und eines Todesfalls aus ihm getrunken? Bei der Geburt eines Kindes, einer Einzugsfeier, einem neuen Job, einem Lottogewinn, dem Weltfrieden?

Im Leben geht es nicht nur um Konsum. Natürlich kann ein neuer Gegenstand unser Dasein für einen Moment erhellen, aber das Glück hängt nicht davon ab, dass er neu ist – sondern, dass er für uns neu ist. Und selbst alte Dinge werden zu neuen, wenn sie einen neuen Besitzer finden. Und das Leben? Ja, hier geht es eher darum, womit wir es füllen – Erinnerungen, Erlebnissen, Beziehungen, Erfahrungen. Und jedes Möbelstück, jedes Champagnerglas, jedes maßgeschneiderte Kleid, das ein langes Leben bekommt, trägt all dies in seinen Jahresringen, gravierten Mustern und handgefertigten Nähten. Warum gelingt es uns nicht, das mehr wertzuschätzen?

Meistens erfahren wir gar nicht, woran all die Gegenstände, mit denen wir uns umgeben und die vor uns bereits von anderen geliebt wurden, schon teilhaben durften. Bestenfalls entdecken wir etwas, was an den früheren Besitzer erinnert, wir googeln eine Signatur oder denken noch rechtzeitig daran, den Verkäufer auf dem Flohmarkt nach seiner Herkunft zu fragen.
Aber macht das wirklich einen Unterschied aus? Ich lasse meiner Fantasie freien Lauf, stelle fest, dass es viel mehr Spaß macht, vom Leben der Menschen zu träumen als von unpersönlichen Fabriken, und auf einmal wird ein Fundstück vom Flohmarkt zu etwas Unbezahlbarem.

Maria Soxbo ist Journalistin, Autorin und Mitbegründerin von Klimatklubben, einer Plattform für Nachhaltigkeit. Als Einrichtungsbloggerin sattelte sie auf Greenfluencerin um, damit sie stattdessen mehr Menschen Inspiration für die Vorteile einer nachhaltigen Lebensweise geben kann. Sie ist davon überzeugt, dass es den meisten von uns besser damit gehen würde, ein Leben im Rahmen der Grenzen unseres Planeten zu führen, anstatt in einem sich heutzutage schnell drehenden Hamsterrad das Konto und die mentale Gesundheit zu belasten. Gemeinsam mit Emma Sundh betreibt sie auch den Podcast Plan-B, bei dem es um das gute Leben nach der Umstellung geht. Maria hat in Eigenregie und gemeinsam mit anderen insgesamt sechs Bücher über Klima, Nachhaltigkeit und Umstellung geschrieben. 2021 landete sie auf Platz 25 der Liste von Schwedens 101 nachhaltigsten Personen.

@mariasoxbo.se
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